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Wie alt warst du, als du zum ersten Mal eine bundesweite Debatte ausgelöst hast? Amelie N. war gerade mal 17. Sie startete im vergangenen Jahr eine Petition mit dem Titel „Schluss mit Abfragen und Exen!“ und traf damit einen Nerv: Mehr als 50.000 Menschen haben unterschrieben, darunter Schüler:innen, Eltern, Lehrkräfte und Bildungsexpert:innen.
Falls du nicht aus Bayern kommst und nicht weißt, was Exen sind: Gemeint sind unangekündigte Tests. Du kommst morgens in die Klasse, dein Lehrer legt dir einen Zettel vor die Nase und dann heißt es: Bloß nicht verkacken. Die 50.000 Unterstützer:innen finden, dass diese Tests sofort abgeschafft gehören: „Ständiger Druck und Stress prägen unseren Schulalltag und oft entsteht ein Gefühl der Ohnmacht.“
Die Petition sorgte dafür, dass Bildungsdeutschland darüber diskutierte, wie sinnvoll solche überraschenden Leistungskontrollen sind. Auf der einen Seite stand Amelie, unterstützt von einer breiten Allianz aus Bildungsverbänden wie dem Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Eine Studie habe zum Beispiel gezeigt, dass unangekündigte Leistungskontrollen die Ängstlichkeit von Schüler:innen stärke und ihre Freude am Lernen schwäche.
Halt, stop, hier bleibt alles so, wie es hier ist!
Auf der anderen Seite stand Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Also nicht nur, aber auch. Auf dem CSU-Parteitag sprach er ein Machtwort : „Die Exen bleiben natürlich!“ Rumms. Für Söder sind unangekündigte Tests ein unverzichtbares Instrument, um die Leistung der Schüler:innen hoch zu halten. Der Bayerische Philologenverband unterstützte Söders Haltung und argumentierte, dass unangekündigte Tests die Schüler:innen auf die Anforderungen einer Leistungsgesellschaft vorbereiten würden, in der sie mit unerwarteten Herausforderungen konfrontiert sein werden.
Und die Diskussion geht weiter: Anfang April waren rund 500 Menschen in München auf der Straße, um gegen Exen zu demonstrieren. Das fast Tragische an der Debatte: Endlich äußerten die wirklich mächtigen Köpfe der Politik mal ihre Meinung zu einer Bildungsfrage – nur ging sie komplett am Thema vorbei. Das Problem der Exen ist nicht, dass sie unangekündigt sind. Das allein macht weder Angst noch Druck. Das Problem ist, dass sie benotet werden. Und Noten sind kein gutes Werkzeug für Feedback.
Schüler:innen haben keine Angst davor, etwas nicht zu wissen
Noten haben eine offensichtliche Schwäche: Sie sind unpräzise. Eine Note für eine Klassenarbeit ist eine simple Summe aus den gemachten Fehlern, ganz egal, was für Fehler das sind. Natürlich sind die Fehler angestrichen (schön warnend in fettem Rot), bei den Schüler:innen kommt aber meistens nur an: Das war nichts. Inwiefern ist eine 6 in Mathe ein besseres Feedback als ein korrigierter Test, bei dem die Fehler angestrichen sind, aber keine Note drunter steht? In erster Linie bringt uns eine 6 in Mathe das soziale Stigma der Inkompetenz.
Fehler zu machen ist das Natürlichste der Welt, sie zeigen lediglich, dass wir etwas versucht haben. Dafür mit schlechten Noten bestraft zu werden, senkt die Motivation zu lernen. Es geht aber nicht darum, möglichst viele Fehler zu machen. Es geht darum, möglichst gutes Feedback zu bekommen. Es ist wie beim Jagen: Der Jäger schießt, wertet aus, wie sehr er das Ziel verfehlt hat, und nutzt diese Fehlerrückmeldung, um seinen nächsten Schuss anzupassen. Wenn ihm die Augen verbunden sind und er nicht sieht, wie weit er daneben geschossen hat, kann er seinen nächsten Schuss auch nicht anpassen. Auch, wenn dem Jäger jemand zuruft, was für eine Note er für diesen Versuch bekommt, hilft ihm das nicht. Ganz einfach: kein gutes Feedback, kein Lernen. Die Note scheint für den Lernerfolg also keine große Rolle zu spielen.
Schüler:innen haben nicht Angst davor, dass sie etwas nicht wissen. Sie haben Angst davor, dass sie eine schlechte Note bekommen. Der Leistungsdruck in der Schule stellt sich immer wieder als eine der größten psychischen Belastungen junger Menschen heraus.
Man muss gar nicht darüber diskutieren, ob unangekündigte Tests die Schüler:innen auf eine Leistungsgesellschaft vorbereiten. Natürlich kommen unangekündigte Prüfungen im Leben vor. Aber man bekommt als Erwachsener nicht permanent eine Note von 1 bis 6 dafür, wie gut man sie gemeistert hat.
Die Lösung ist klar: mehr unangekündigte Tests!
Das Wissen und die Ideen der Schüler:innen zu testen, das zeigt Studie nach Studie, ist eine der besten Strategien, wenn es darum geht, dass sie etwas lernen. Regelmäßiges Testen sorgt dafür, dass Dinge lange im Gedächtnis bleiben und nicht nur bis zur nächsten Klausur. Sich zu testen heißt: sich der Realität stellen, zu stärken, was man bereits weiß und herauszufinden, was man noch nicht weiß. Das ist dann schon Meta-Wissen. Das geht ohne Tests nicht, aber sehr wohl ohne Noten.
Die Lösung ist einfach: mehr unangekündigte Tests! Aber nicht als Möglichkeit, noch mehr Noten in irgendeine Tabelle eintragen zu können. Sondern als Möglichkeit, dass Schüler:innen ihr Wissen testen, ihre Lücken sehen und dann weiterlernen können. Tests als Tool zum Lernen, nicht als eines zum Bewerten.
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Redaktion und Schlussredaktion: Isolde Ruhdorfer.