Fotomontage: Eine futuristische Stadt in der Grönländischen Küste

Symbolbild. TEILWEISE KI-GENERIERT: Anne08/Getty Images, Midjourney

Politik und Macht

Was die Tech-Milliardäre mit Grönland wirklich vorhaben

Eine Bewegung aus dem Silicon Valley will auf Grönland einen faschistischen Krypto-Staat bauen. Ja, sie meinen das ernst. Und ihre Verbindungen reichen bis ins Weiße Haus.

Profilbild von Benjamin Hindrichs
Reporter für Macht und Demokratie

Du lebst in einem Staat, in dem eine Künstliche Intelligenz regiert und alle Einwohner entweder Krieger, Priester oder Tech-Unternehmer sind. Das klingt absurd, aber einige der mächtigsten Männer der Welt stellen sich so die Zukunft nach der Demokratie vor. Und das in Grönland.

Seit Donald Trump wieder US-Präsident ist, will er die Insel an die Vereinigten Staaten anschließen. Das hat mehrere Gründe, zum Beispiel will er Grönlands Rohstoffe für die US-Wirtschaft ausbeuten lassen und die strategisch wichtige Meerenge zwischen Grönland, Island und Großbritannien kontrollieren.

Es gibt aber noch einen weiteren Grund, weshalb Grönland das Interesse der US-Regierung weckt. Und der wird bisher kaum besprochen: Im Silicon Valley formiert sich eine Bewegung, die den Nationalstaat überwinden und autonome Krypto-Staaten schaffen will.

Die Tech-Investoren träumen davon, auf Grönland eine neue, westliche Zivilisation aufzubauen. Ihre Fantasien wirken wie aus einer neurechten Science-Fiction-Serie oder wie die Szenerie eines KI-Computerspiels. Man könnte das als Spinnerei abtun. Aber diese Menschen – fast nur Männer – haben viel Geld und Einfluss bis in die höchsten Reihen der US-Politik. Sollten sie nur einen Bruchteil ihrer Ideen umsetzen, leben wir bald in einer Tech-Monarchie, die aussieht wie eine Mischung aus Mittelalter und Matrix.

Ein Surfer will eine Stadt bauen, um die westliche Zivilisation zu retten

„Ich bin nach Grönland gefahren und habe versucht, es zu kaufen.“ Mit diesen Zeilen sicherte sich Dryden Brown im November 2024 die weltweite Aufmerksamkeit auf der Plattform X. Wenige Monate bevor Trump die Insel zum Interessensgebiet der USA erklärte, lasen mehr als 1,2 Millionen Menschen seinen Post.

Brown, ein 29-jähriger Surfer aus einer reichen Familie in Kalifornien, ist Co-Gründer und Vorsitzender von „Praxis“. Das ist ein Start-up, das den weltweit ersten Krypto-Stadtstaat errichten will. Dafür hat Brown laut eigenen Angaben über 500 Millionen US-Dollar an Investitionen gesammelt – und mehrere tausend Anhänger:innen auf Discord, Telegram und Signal, die seinen Traum teilen. Sie wollen die „westliche Zivilisation“ retten, indem sie den Nationalstaat überwinden.

Die Idee hinter dem sogenannten Network State ist einfach: Menschen schließen sich über das Internet zu einer digitalen Gemeinschaft mit gemeinsamen Werten und Zielen zusammen. Anschließend versuchen sie, reale politische oder gesellschaftliche Macht auszuüben, indem sie Land kaufen und einen souveränen Stadtstaat errichten. Dort regeln Künstliche Intelligenz und Blockchain-Technologie das gesamte Leben.

Das ultimative Ziel sei es, „die westliche Zivilisation wiederzubeleben“, heißt es auf der Website. Brown und seine Anhänger versprechen eine „Lebensweise, die sich auf die Weisheit großer Zivilisationen stützt, um Heldentum und Entdeckergeist, Sonne und Stahl zu verfolgen.“

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„Sonne und Stahl“ ist der Titel eines Buches von Yukio Mishima. Das war ein japanischer Schriftsteller und Ultranationalist, der nach einem gescheiterten Putschversuch 1970 rituellen Selbstmord beging. In „Sonne und Stahl“ beschrieb Mishima, wie er durch Bodybuilding und Kampfkunst versuchte, Körper und Geist in Einklang zu bringen. Das Buch avancierte unter Neurechten zum Kult. Mishimas Aufopferungsbereitschaft für die eigenen, völkischen Ideale ist inzwischen zum Fetisch einer neurechten Szene geworden, die vom heldenhaften Kampf für das Überleben der Menschheit träumt. Genau diesen Kampf sieht „Praxis“ als die eigene Mission an.

„Das ist eine durch und durch faschistische und neokolonialistische Fantasie“

Futuristische Kathedralen ragen in den Himmel und Glasgebäude schmiegen sich in die Berglandschaft. In solchen Bildern stellt sich die „Praxis“-Szene die Zukunft vor. „Wir arbeiten an einer Verschmelzung von gotischen Elementen und Space-Age-Futurismus“, erklärte Brown kürzlich der New York Post. Auf der Website von Praxis steht in Großbuchstaben: „RECLAIM THE WEST“. Den Westen zurückerobern.

Auf diesem Foto ist neben einem computergenerierten Bild von Grönland mit futuristische Kathedralen in einer Berglandschaft ein Text zu lesen, der Menschen auffordert, sich der Praxis-Szene anzuschließen.

Die Zukunft Grönlands? Anhänger der „Praxis“-Szene werben um neue Mitglieder und stellen ihre Zukunftsvisionen für das Land vor. Quelle: Screenshot

„Diese Bilder wirken allesamt KI-generiert“, sagt Roland Meyer, Professor für Digitale Kulturen in Zürich. „Sie vermischen Computerspiel- und Blockbuster-Ästhetik mit pseudo-historischen Referenzen.“ Die Ästhetik von „Praxis“ wolle Erhabenheit, Macht und Dominanz ausstrahlen und bediene sich an Bildern der vermeintlich untergegangenen westlichen Zivilisation. „Das ist eine durch und durch faschistische und neokolonialistische Fantasie“, so Meyer. „Die Rückkehr zu fiktiver Größe ist ein Narrativ der faschistischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts“, erklärt er. „Dieses Narrativ wird bei Praxis mit popkultureller Ästhetik neu inszeniert.“

Im Krypto-Stadtstaat der Zukunft sollen drei Personengruppen leben: „Muskulöse Krieger“, die die Stadt verteidigen. Priester, die „die Werte und den Glauben der Gesellschaft definieren.“ Und Händler, die sich mit Risikokapital und Kryptowährungen auskennen. Das geht aus internen Dokumenten von Praxis hervor, die die New York Times einsehen konnte.

Praxis sieht es als eigene Aufgabe an, „unser Volk seiner Bestimmung zuzuführen.“ Wie diese Bestimmung aussieht, drückt Dryden Brown so aus: „Das Schicksal des Westens ist es, immer höher zu streben, zu geistigen Höhen und körperlicher Vollkommenheit.“

Diesen Plan haben die Tech-Milliardäre für Grönland

Grönland ist die größte Insel der Welt, aber nur rund 57.000 Menschen leben dort. Allein deshalb wäre es ein idealer Ort mit viel Platz, um eine neue Megastadt zu bauen. Hinzu kommt, dass die Insel reich an Mineralien-, Öl- und Erdgasvorkommen ist. Das Problem ist: Ein Großteil der Insel ist wegen des arktischen Klimas und einer kilometerdicken Eisschicht aktuell unbewohnbar. „Praxis“-Chef Brown sieht es als Teil seiner Mission, das zu ändern.

„Grönland ist eine echte Grenzlandschaft“, schreibt er auf X. „Das ist Hardcore.“ Wenn die Menschheit wirklich den Mars besiedeln wolle, „sollten wir in Grönland üben.“ Er wolle die Insel quasi als Übungsplatz für Terraforming-Experimente nutzen. Terraforming bezeichnet den Versuch, andere Planeten durch Technologie und Geoengineering bewohnbar zu machen. In Grönland will Brown zum Beispiel Sonnenlicht reflektieren, um die Temperaturen auf der Insel zu steigern, Eismassen zu schmelzen und die Tage zu verlängern.

Während seiner Reise auf die Insel habe er erfahren, dass die Mehrheit der Bevölkerung die Unabhängigkeit von Dänemark möchte. Grönland gehört zu Dänemark, hat aber einen autonomen Status und eine eigene Regierung. Tatsächlich gibt es eine Unabhängigkeitsbewegung, die sich von der ehemaligen Kolonialmacht Dänemark abspalten will. Aber weil die Insel auf jährliche Subventionen aus Kopenhagen in Höhe von rund 500 Millionen Dollar angewiesen ist, hadert die Politik damit. Brown sieht das als Chance für seinen Netzwerk-Staat.

„Wenn wir die 500 Millionen US-Dollar durch eine andere Einnahmequelle ersetzen könnten – Steuern aus einer neuen Stadt, Bergbau und Tourismus nach dem Terraforming –, könnten wir den Grönländern ihre lang ersehnte Unabhängigkeit verschaffen“, schreibt er.

Sein Traum: „Praxis“ soll ein unbewohntes, ungenutztes Gebiet auf der Insel bekommen. Dort will er Sonnenlicht reflektieren und es künstlich regnen lassen, um die Wintertage zu verlängern und die Umgebung zu verändern. Am Ende soll so eine blühende Landschaft entstehen, in der „Praxis“ eine unabhängige Stadt bauen kann. In dieser futuristischen Tech-Sonderzone soll dann ausreichend Wohlstand entstehen, um Grönland mehr als die 500 Millionen US-Dollar zu zahlen, die es jährlich aus Dänemark bekommt.

Brown glaubt: Die Unterstützung der grönländischen Unabhängigkeit durch die Gründung einer Netzwerk-Stadt läge auch im geopolitischen Interesse der USA. Schließlich könnten die USA dank „Praxis“ dann enorme kulturelle, wirtschaftliche und politische Macht vor Ort ausüben.

All das klingt größenwahnsinnig. Brown ist kein Architekt oder Stadtplaner. Seine 500 Millionen US-Dollar reichen bei Weitem nicht aus, um ein solches Projekt zu realisieren. „Das scheint mir ein großangelegter Scam zu sein“, sagt auch Roland Meyer von der Universität Zürich. Die Logik ähnele anderen Startups: Man lanciert ein Versprechen mit eindrucksvollen Bildern und sammelt dann erst einmal Geld. „Nur dass es in diesem Fall ein faschistisches und kolonialistisches Projekt ist, das Investoren sucht.“

Meyer ist sich nicht sicher, ob Brown und seine Anhänger wirklich glauben, sie könnten ein solches Projekt realisieren. Aber das sei vielleicht auch nicht entscheidend. „Die Behauptung, dass man an eine solche imaginäre Zukunft glaubt, ist Teil eines Geschäftsmodells, das in den USA heutzutage Politik macht“, sagt er.

Fakt ist: Auch wenn „Praxis“ auf Grönland vielleicht nie gebaut wird, sind die Ideologie und ihre Vertreter inzwischen sogar im Weißen Haus angekommen.

Das Silicon Valley sucht einen Ausweg aus der Demokratie

Browns Ideen sind Teil einer größeren Bewegung. Der einflussreiche Tech-Investor und Risikokapitalgeber Balaji Srinivasan veröffentlichte 2022 das Buch „The Network State: How to Start a New Country“. Darin skizziert er seinen Plan, wie Tech-Eliten per Crowdfunding Städte oder Land kaufen können, um nach und nach die Demokratie zu überwinden und neue souveräne Staatsgebiete zu gründen, die wie Unternehmen funktionieren.

„Balaji hat die höchste Rate an guten neuen Ideen pro Minute von allen Menschen, die ich je getroffen habe“, schrieb der Investor Marc Andreessen auf den Klappentext zu Srinivasans Buch. Andreessen gehört zu den einflussreichsten Vertretern eines neuen Tech-Autoritarismus und ist ein Berater von Elon Musks Behörde für Regierungseffizienz (DOGE), die derzeit die US-Verwaltung säubert und mit Anhänger:innen besetzt.

Aber die Idee solcher Stadtstaaten ist noch älter.

Schon 2008 träumte der rechtsextreme Philosoph und Softwareentwickler Curtis Yarvin auf seinem Blog von einem „Patchwork-State“. Er forderte, „dass die beschissenen Regierungen (…) zerschlagen und durch ein globales Netz von zehn- oder sogar hunderttausenden souveränen und unabhängigen Miniländern ersetzt werden sollten, von denen jedes von seiner eigenen Aktiengesellschaft regiert wird, ohne Rücksicht auf die Meinung der Einwohner.“

Yarvin machte Witze darüber, unproduktive Menschen in Biodiesel zu verwandeln, um auf das „wahre Problem“ zu verweisen: „Unser Ziel ist, kurz gesagt, eine humane Alternative zum Völkermord. Das heißt: Die ideale Lösung erzielt das gleiche Ergebnis wie ein Massenmord, aber ohne das moralische Stigma.“

Yarvin ist der bekannteste Vertreter der sogenannten Dunklen Aufklärung. Das ist eine Bewegung von neofaschistischen Denkern, die Gleichheit ablehnen und eine Art ultra-kapitalistische Tech-Monarchie in den USA errichten wollen, die wie ein Start-up funktioniert. Also so ähnlich wie „Praxis“ in Grönland. Yarvin gilt als Unterstützer des Start-ups und ist inzwischen einer der einflussreichsten Denker der neuen US-Regierung.

Die Dunkle Aufklärung erreicht das Weiße Haus

Das Start-up „Praxis“ bekommt unter anderem Geld vom Risikokapitalfonds Pronomos Capital, zu dessen größten Investoren Peter Thiel gehört. Der Paypal-Gründer unterstützt Trump seit Jahren. Schon 2009 sagte Thiel, dass „die große Aufgabe für Libertäre darin besteht, einen Ausweg aus der Politik in all ihren Formen zu finden.“ Einer seiner Co-Gründer von Paypal, Ken Howery, ist jetzt Botschafter in Dänemark.

Thiel gilt als politischer Ziehvater von US-Vizepräsident JD Vance. Er finanzierte Vance’ Wahlkampf für den Senat 2021 mit 15 Millionen Dollar, stellte ihn in Mar-a-Lago erstmals Trump vor und brachte ihn wohl auch mit den Ideen seines Freundes Curtis Yarvin in Berührung, also dem Vertreter der „Dunklen Aufklärung“.

Dank Peter Thiel gilt Yarvin inzwischen als enger Vertrauter von JD Vance. Viele von Yarvins Ideen beeinflussen die neue US-Regierung, sein Text „The Butterfly Revolution“, den er einmal in einem Blogpost beschrieben hat, klingt wie eine Anleitung zum Vorgehen der US-Regierung. Zum Beispiel, wenn er fordert, Trump solle Gerichtsentscheidungen einfach ignorieren. Vance wiederholt regelmäßig Yarvins Forderungen und dessen Weltbild. Medien, wie zum Beispiel The New Republic, bezeichnen ihn als „Philosoph“ des Vizepräsidenten, er war bei Trumps Amtseinführung dabei.

Das heißt nicht unbedingt, dass das Silicon Valley bald tatsächlich seinen Krypto-Stadtstaat in Grönland errichten wird. Aber es zeigt, wie faschistische Ideen Eingang finden in die US-Politik – und wie die Tech-Szene immer mehr mit dem Rechtsextremismus verschmilzt.

Früher forderten die Milliardäre des Silicon Valley bessere Gesetze für ihr Geschäft. Ihr Ziel waren weniger Steuern und Regulierungen. Jetzt wollen sie die Gesellschaft nicht mehr bloß verändern, sondern eine neue erschaffen. Grönland ist nur die Projektionsfläche für diese Fantasien.


Redaktion: Isolde Ruhdorfer, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert

Was die Tech-Milliardäre mit Grönland wirklich vorhaben

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